Opa, Ersatzpapa und Held meiner Kindheit

Ursprünglich veröffentlicht im Mitmach-Blog zum Thema der Woche (KW34): Oma und Opa

Fast mein Leben lang, mit nur kurzen Unterbrechungen, lebe ich in einer  Mehr-Generationen-WG, früher einfach Familie genannt. Als ich klein war, also schon vor einiger Zeit, lebten meine Mama und ich bei Oma und Opa.

Damals war es noch nicht alltäglich, wenn eine Frau unverheiratet ein Kind hatte und es ohne Partner groß ziehen musste oder – wie im Falle meiner Mutter – wollte. Aber ganz allein war sie nicht, denn wir wohnten ja bei meinen Großeltern. Ich glaube, kein Kind, dass so einen großartigen Opa wie ich hatte, vermisst seinen Vater. Ich jedenfalls habe meinen Opa Erich heiß und innig geliebt und diese Liebe wurde genauso erwidert. Auch meine Oma war wohl toll, aber mein Gehirn hat alle Erinnerungen an sie gestrichen, als sie starb, damals war ich erst sieben. Aber noch heute sehe ich Opa und mich in unseren Schrebergarten radeln, ich glaube, ich konnte eher radfahren als laufen, er vorweg und ich als kleines Küken hinterher. Er zeigte mir alle Pflanzen und ich durfte helfen, auch wenn diese Hilfe hauptsächlich darin bestand in den Obstbäumen zu sitzen und zu naschen. Trotzdem weiß ich bis heute, wie man Kartoffeln erntet und Erdbeeren pflanzt, irgendwann bekam ich dann mein ganz eigenes Beet. Darin durfte ich alles pflanzen und keiner redete mir rein. Nur der Plan Marienkäfer in Streichholzschachteln zu züchten scheiterte kläglich. Aber es gab ja auch noch unsere Tiere, mein Opa war Kaninchenzüchter und mein Onkel hatte Tauben. Die Tauben mochte ich am liebsten auf dem Teller, aber die Kaninchen waren so weich und kuschelig, es war ein ziemlicher Schock, als ich entdeckte, wo die possierlichen Tiere am Ende landeten. Ab und zu durfte ich auch mit Opa an die Ocker, dort hatte wir eine Wiese, wo er Kaninchenfutter mit der Sense schlug (?). Das war aufregend, die Sense war so herrlich gefährlich und in der Wiese konnte man so schön träumen. Ich war ein ausgesprochen lebhaftes Kind und konnte einfach nicht stillsitzen und weil ich immer am Hüpfen war, gab mir meine Familie den Spitznamen „Froschi“, der mir als ich ein wenig älter war, furchtbar peinlich war. Ich erinnere mich, ich war mit Opa eine neue Jacke shoppen und hatte ein wunderbares hellblaues Exemplar entdeckt und mich  irgendwie – ohne es zu merken – wohl recht weit vom Ausgangspunkt entfernt, da schallte laut und vernehmlich ein deutliches: Froschi, wo bist du? durch den ganzen Laden.  Man habe ich mich geschämt, ich wollte nie wieder in dieses Geschäft und auf die tolle Jacke verzichtete ich auch. Meiner Liebe tat auch das allerdings keinen Abbruch, mit Opa konnte ich einfach über alles reden, er verriet mich nie. Er war ein kleiner und drahtiger Mann, kaum 1,65 m, in seiner Jugend hatte er geboxt und es bis zum Deutschen Meister im Fliegengewicht gebracht, dabei gab es keinen sanfteren Menschen als ihn. Aber trotzdem konnte er wütend werden und fluchen, wie kein zweiter, vor allem wenn jemand seiner Froschi etwas tun wollte, so wie er ist nie wieder jemand für mich eingetreten. Als ich dreizehn war, paktierte er mit mir gegen meine Mutter und schenkte mir auf meinen Wunsch ein froschgrünes Jugendzimmer und tapezierte mein Zimmer klammheimlich in knallrot, komplett machten es dann die Scherenschnitte aus der Bravo von David Cassidy und Piere Brice als Winnetou. Es waren die bunten 70iger und ich war sehr stolz auf mein Zimmer bei dieser Gelegenheit lernte ich auch malern und tapezieren. Aber meine Mutter war furchtbar sauer, eines ihrer Hobbies ist Inneneinrichtung.

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Mein „rotes Zimmer“, da war ich so ca. 17 (1978), da lebte Opa schon nicht mehr und David Cassidy wurde von Reiseträumen angelöst. Ich fand mich aber sowas von cool 😉

Als ich von 14 bis 15 im Krankenhaus lag, besuchte mich mein Opa, dem es nicht gut ging, ein letztes Mal vor meiner OP und brachte mir einen ganzen Becher Sahne zum Trinken mit . Mir war danach furchtbar schlecht, aber um mir diesen Wunsch zu erfüllen, hatte er ein Taxi genommen und ich glaube, er wusste, es war ein Abschied für immer. Zehn Tage nach meiner OP, als feststand, ich hatte alles gut überstanden, ging er für immer von uns. Noch heute höre ich manchmal seinen Schlüssel im Schloß …

Allein = Einsam?

Für mich war diese Reha auchals  so eine Art Selbstversuch angelegt, ich hatte mir schon vorher vorgenommen, mich hier nicht auf enge Freundschaften einzulassen.

Ich hatte gleich mehrere Gründe dafür:

  • Zum einen hatte ich anfangs ja arge Probleme mit meinem Bein, ich MUSSTE mich alle 50 m irgendwo hinsetzen oder -hocken, sonst zerschnitt ein großes Messer (gefühlt) meinen Unterschenkel bzw. ein Feuer brach da dringen aus. Ich wollte anderen, aber vor allem mir nicht antun, dass ich alle 3 Minuten hätte sagen müssen: Ich muss mich kurz hinsetzen
  • Ich wollte wissen, wie ich mich mit mir als hauptsächliche Gesellschaft zurechtkommen würde, kann ich alleine leben?
  • Ich fragte mich, ob ich mich sehr langweilen würde
  • Würde ich mich einsam fühlen?
  • Wie würde es sich – abgesehen – von dem Stundenplan anfühlen, selbst bestimmt zu leben?

Zu meinem eigenen Erstaunen habe ich gut durchgehalten, natürlich habe ich mich ab und an mit Leuten unterhalten, habe am Tisch geplaudert und mit Zuhause telefoniert. Aber ich habe nach der Abreise meiner Familie vor knapp drei Wochen nur einmal etwas zusammen mit einer anderen Frau gemacht und das auch nur, weil wir uns zufällig am Eingang des Piratenspektakels getroffen haben.

Das Experiment ist geglückt, es geht mir gut mit mir. Gelangweilt habe ich mich gar nicht, aber ich will nicht verschweigen, dass es den einen oder anderen Moment gab, wo ich mich etwas verloren fühlte, aber doch erstaunlich selten.

Für mein Bein war es ganz gewiss die richtige Entscheidung, ich konnte ganz nach meinem eigenen Rhythmus leben, auf meine Bedürfnisse eingehen und die Belastung ganz langsam steigern, natürlich abgesehen von den Therapien hier. Aber auch da war es mir nicht peinlich auch mal zu sagen: Mir geht es nicht so gut, ich gehe in die Gruppe derer, die nicht so fit sind. Mit dieser Taktik bin ich gut vorangekommen, anfangs waren 300 m eine für mich schier unüberwindliche Distanz und gestern habe ich weit über 9000 Schrite und fast 5 km zurückgelegt, immer noch mit Pausen, aber dennoch ist der Unterschied gewaltig. Ich fühle mich wieder mobil.

Angst davor, mal alleine zu verreisen, hätte ich auch nicht mehr, denn auch nur mit sich kann man genießen und Spaß haben. Es macht mir gar nichts mehr aus, allein in ein Restaurant zu gehen oder an den Strand. Es ist nämlich auch schön, wenn man nach eigenem Gusto entscheiden kann, wo, wie, wann, was. Niemand will einem seine Vorstellungen einreden  und man ist ziemlich frei in seinen Entscheidungen. Auch wenn man mal zu nichts Lust hat, ist es okay.

Drei Vier Dinge waren für mich in dieser Zeit extrem wichtig:

  • Mein Kindle, ich habe soviel gelesen, wie schon ewig nicht mehr und zugegebenermaßen, mehrheitlich leichte Lektüre. Am besten, aber das war vorher schon klar, hat mir der 6. Band der Nightingale Schwestern gefallen. Den siebten habe ich schon vorbestellt. Gerade habe ich den zweiten Band einer neuen Serie um einen Erbenermittler fertig gelesen. Die Reihe gefällt mir auch gut, aber ich fand den ersten Band  (Margot S. Baumann: Band des Schweigens, John A. Fortunes 1. Fall) deutlich stärker. Als nächstes nehme ich mir einen historischen Krimi von Ann Granger (Ein Mord von besserer Qualität; ein Fall für Lizzie Martin und Benjamin Ross)
  • Das Smartphone und die Möglichkeit jederzeit Kontakt mit Familie oder Freunden aufzunehmen und natürlich zu fotografieren. Ich hatte hier auch eine richtige Kamera mit, eine recht teure Kompaktkamera von Sony, mit ihr wollte ich eigentlich filmen. Aber zum einen eignet sie sich dafür nicht gut, weil der Auslöser zum Filmen an einer blöden Stelle sitzt und man weder mit filmen beginnen noch es beenden kann ohne zu wackeln. Die Fotos mit meinen Smartphone (Samsung S 7) finde ich auch nicht schlechter, von daher war sie überflüssig.1501073674236
  • Mein Tablet mit Hülle und Tastatur, weil es so zum Laptop wurde und ich damit ganz prima meinen Blog, an meinem Krimi (der vermutlich doch nie fertig wird)  schreiben und E-Mails beantworten kann. Außerdem war es meine Schnittstelle zu meinem bevorzugten Streamingdienst. Ich habe mir die zweite Staffel einer meiner Lieblingsserien (Body of proof) vorher gekauft und wenn mir mal die Decke auf den Kopf fiel, geschaut.1501073754011
  • Meine (wechselnden) Tischnachbarn, denn so ein bisschen Kommunikation brauche ich dann doch auch.

Gefehlt haben mir meine Malsachen, ich hätte hier gerne  gemalt, aber die ganzen Sachen hätten nicht in meinen Koffer gepasst. Ich habe mir hier zwar noch Öl-Pastellkreide gekauft, aber so richtig meins ist das nicht und das Ergebnis sieht schon sehr nach Kinderbildern aus. Also habe ich dann einfach ein bisschen mehr fortografiert. Ich habe nämlich eine Galerie entdeckt, die einem hiesigen Maler gehört, der Foto-Mal-Collagen macht, eine Technik, die ich auch sehr gerne mal ausprobieren möchte.

Der Wiedereinstieg ins normale Leben in unserer Familien-WG wird sicher nicht ganz einfach, habe ich hier doch ausschließlich um mich gekreist. Ich werde mich wohl erstmal wieder daran gewöhnen müssen, auf andere einzugehen, Rücksicht zu nehmen und nicht mehr alles tun zu können, was mir gefällt. Aber ich freue mich jetzt auch richtig auf mein normales Leben in meiner kleinen Chaos-Familie.

Letztendlich hat sich Experiment gelohnt, ich hatte nämlich ganz schöne Ängste vor einer Zeit, wenn ich vielleicht doch mal alleine leben muss und nicht mehr arbeite. Ich bin mir jetzt sehr sicher, ich schaffe das, ohne depressiv zu werden. Wichtig ist dabei, glaube ich, dem Leben Struktur zu geben und Interessen zu haben.

Liebste Grüße

Ela

Tag 320: Was macht einen besonderen Tag aus?

Manchmal bestimmen das ganz sicher  die ganz großen Erlebnisse oder Ereignisse, wobei ich bei diesen oft so aufgeregt bin, dass ich vieles gar nicht mitbekomme. Aber klar auch die große, lang erträumte Reise und junge Liebe soeieso, lassen das Herz Freudensprünge machen.

Aber nein, wir müssen nicht Monate  und Jahre auf dieses so intensive Gefühl warten, dass unsere Seele vor Freude tanzen lässt, warten. Denn nicht nur die Meilensteine haben die Fähigkeit, uns glücklich zu machen, manchmal sind es die kleinen Dinge. Sei es ein leckeres Essen, ein paar schöne Blumen, ein Treffen mit Freunden, ein Spaziergang am Strand, im Wald, durch Felder, das Gefühl der Dankbarkeit oder ein gutes Gespräch.

Ich hatte gestern so einen wunder-wunderschönen Tag, der sachlich betrachtet nichts besonderes war. Es passierte eigentlich nicht viel und nicht mal das Wetter tat sich hervor. Aber dieser Tag fing schon gut an, weil wir alle drei nichts wirkliches vorbhatten und uns so fast drei Stunden und über Gott und die Welt quatschend beim Frühstück aufhielten.  Anschließend hatte ich Lust zu malen (eigentlich Töchtings Geburtstagsbild), aber da sie sich zu mir nach Draußen setze, war damit nichts), machte aber nichts, lange schon hatte ich eine neue Blumentopf-Idee, die noch auf Umsetzung wartete. Meine Mum lag derweil auf ihrem Bett mit Blick zu uns und  las. 

Es war einfach so friedlich so liebevoll, ich durfte eine meiner Lieblings-beschäftigungen ausüben, dabei in die Rosen schauen, ihren Duft genießen und hatte meine Lieblingsmenschen um mich. Es war wie eine Oase des Friedens, angst- und sorgenfrei, in einer gefärlichen Zeit und ich fühlte neben Glück auch Dankbarkeit:

  VvbWerd ich zum Augenblick sagen:        Verweile doch! du bist so schön! (Faust 1/J. J. W. von Goethe)

Tag 172 -Sing Hallelujah, Papa

Diesen Beitrag habe ich ursprünglich im Mitmach-Blog veröffentlicht.

 Wenn ich dieses Lied höre, muss ich an meinen Vater, der vor 20 Jahren starb, denken, an ihn und unsere Geschichte.

Ich hatte ihn als Kind nur sehr selten getroffen, da sich meine Eltern schon vor meiner Geburt getrennt hatten. Tatsächlich war ich auch nicht wirklich traurig darüber, mein Vater  war sehr groß, sehr breit, ziemlich laut und und ein Choleriker vor dem Herrn. Er liebte Witze auf Kosten anderer, wie ich selbst leidvoll erfuhr. 

Trotzdem hat er mich wohl auf seine Art geliebt, ich hingegen weiß es bis heute nicht, vor allem hatte ich Angst vor dem mir so fremden Mann.  Genau das war er für mich, da wir zwischen meinem achten und achzehnten Lebensjahr keinen Kontakt hatten, meine Eltern hatten sich zerstritten. Eine Vaterfigur brauchte ich auch nicht, ich hatte mit meinem Opa und meinem kinderlosen Onkel gleich zwei davon und noch dazu richtig tolle.

Ich habe oft gedacht, bei null Kontakt hätte ich es lassen sollen. Ich liebte ihn sicherlich auch so irgendwie, aber mögen? Nein! Bewundert habe ich ihn dafür, dass er sich immer traute ganz und total er selbst zu sein. Aber mit der Zeit und vor allem  mit der Geburt seiner Enkeltochter, die er abgöttisch liebte, wurde unser Verhältnis dann entspannter.

Die Kleine wickelte ihn vom ersten Moment um den Finger und dieser poltrige Kerl behandelte sie wie ein rohes  Ei. Auch meine Tochter fand ihren Opa Willi und seinen kleinen Privatzoo toll, seine Tiere waren sein ein und alles. Am liebsten ging sie ganz früh morgens mit ihm zu den Hühnetn, Eier einsammeln. Ich sehe es noch vor mir, den Bär von einem Mann und das kleine Pusselchen mit Gummistiefeln beide in trauter Eintracht.

Leider war den Zweien nur eine kurze gemeinsame Zeit vergönnt, mit nur 62 Jahren starb mein Vater an den Folgen eines Schlaganfalls und wohl an seiner Art zu leben.

Auf einmal musste ich, als nächste Angehötige, seine Beerdigung organisieren und alle quatschten auf mich ein, mach dies, mach jenes:“Das gehört sich so!“. Mitte der 90iger war man noch viel konservativer als heute. Aber mein Vater hat Zeit seines Lebens darauf gepfiffen, was andere von ihm denken. Daran habe ich mich orientiert und eine Beisetzung organisiert, die zu ihm gepasst und die er gemocht hätte. Bunte Kleidung war erwünscht, der Pfarrer fiel aus, sein bester Freund „Lord Uli“ sang für ihn Poor Boy und zum Abschluss den absoluten Lieblingssong meines Dads Sing Hallelujah. Einen Leichenschmaus gab es nicht, aber abends trafen sich „seine“ Menschen in der Lieblingsbar und erzählten von ihren Erlebnissen mit meinem Vater und dazu wurden all seine liebsten Lieder gespielt, so auch wieder Sing Hallelujah, wir feierten sein zu kurzes, aber spannendes Leben. Ob ich richtig hörte, als ich plötzlich ein kleines zufriedendenes Lachen hörte, das von sehr weit her zu kommen schien?

Bis heute kann ich das Wort Hallelujah nicht hören ohne an Papa zu denken und irgendwie war es schon cool, dass gerade ich die Tochter von diesem sehr speziellen, unangepasstem Mann sein durfte.