Ursprünglich habe ich diesen Beitrag im Mitmach-Blog veröffentlicht.
Ich habe mich nun schon die ganze Woche um dieses Thema gedrückt. Wenn es einen selbst betrifft, ist halt alles anders.
Mir wurde vor ca. 35 Jahren meine Behinderung staatlich bescheinigt. Mit zehn bekam ich von gestern auf gleich eine hochgradige S-Skoliose (seitliche Wirbelsäulenverkrümmung), die zwar begradigt und versteift wurde, als ich fünfzehn war, aber das hatte mir einen 40 cm langen Metallstab im Rücken eingebracht. Die Jahre dazwischen waren für ein Mädchen mitten in der Pubertät unglaublich hart: ein Jahr Krankenhaus, ein ganzes Jahr platt auf dem Rücken liegen und das im Streckbett und mit Gewichten am Kopf und an den Füßen, danach ein Jahr Gips vom Hals bis zur Hüfte. Wie ein Mädchen sich trotz allem „normal“ entwickelt? Um ehrlich zu sein, keine Ahnung, ich habe lange gebraucht und ob ich es je geschafft habe?
Nach der OP, die fast zehn Stunden dauerte und nach der ich tatsächlich einmal gestorben bin oder doch so gut wie, war es, als hätte mir jemand ein anderes Ich über gezogen, ich war gerade. Auf einmal gab es Jungen, die sich für mich interessierten, die mir Briefchen schrieben, ihren Freund schickten, der mich fragen sollte, ob ich mit ihnen gehen wolle. Jedes Mal, wenn so was passierte, drehte ich mich um, weil es so unfassbar war, dass das mir passierte. Ich hatte jedenfalls Probleme damit, denn meine Seele war noch immer schief und es hat Jahre bis zum ersten Kuss und bis zum ersten Freund gebraucht.
Dann hatte ich mein Abi in der Tasche, eigentlich wollte ich danach Psychologie (ich wollte in die Werbung) oder aber Germanistik studieren, meine Kunst- und Theaterlehrerin versuchte mich zu überzeugen Schauspiel zu studieren, weil sie mich für recht begabt hielt, aber meine Eltern waren der Ansicht, wegen meines Rückens sollte ich was Sicheres machen und so halb teilte ich ihre Meinung, denn es würde ja bestimmt Spätschäden geben . Also studierte ich an der Fachhochschule Verwaltungswirtschaft und schlug die Beamtenlaufbahn ein. Vorher aber überzeugten sie mich einen Schwerbehindertenausweis zu beantragen. Ich musste damals zu einem uralten Arzt (wahrscheinlich war der jünger, als ich heute), der mitleidig war und mich „Armes Hascherl“ nannte. Natürlich bekam ich den Ausweis, 50 % und ein großes G (Geh- und Stehbehinderung). Gefreut habe ich mich nicht darüber. Nein, ich habe mich dEafür ganz entsetzlich geschämt und habe 20 Jahre lang lieber in der Tram bezahlt, als ihn vorzuzeigen.
Nachdem ich den Ausweis hatte, tat ich alles, um jedem zu beweisen, dass ich nicht behindert bin, ich arbeitete mehr und länger als die anderen, lebte drauf los, machte große Reisen, ging aus, hatte Beziehungen. Ganz normal eben. Mit Anfang 30 bekam ich dann meine völlig gesunde Tochter und verlor ihren Vater (an seine Frau) und ich glaube, von da an wurde es besser, vielleicht, weil ich mich nicht mehr so sehr in den Mittelpunkt stellte. Auch so ein Punkt, die Familie verhätschelt einen ganz schön, aber mit meiner Maus, war da dieser wundervolle kleine Mensch, der mein Dreh- und Angelpunkt wurde.
Mit 40 schaffte ich es dann auch endlich, den Ausweis zu nutzen und heute bin ich soweit, dass ich Rücksicht auf mich nehmen und ab und an, diese Rücksicht auch sogar einfordern kann. Denn natürlich hatten meine Eltern recht, es stellten sich Spätschäden ein und so laboriere ich heute schon viel an meinem Rücken, erst mussten ein paar Etagen der Halswirbelsäule versteift werden, nun hatte ich gerade ein OP an der Lendenwirbelsäule und bin derzeit in REHA. Schiefer bin ich leider auch wieder geworden, aber heute kann ich gelassen damit umgehen. Gestern sagte eine neue Tischnachbarin zu mir: „Weißt du eigentlich, dass du total schief du da sitzt?“ Ich antwortete:“ Ich weiß, ich BIN so schief“. Ob so was noch weh tut? Ein bisschen schon …
Aber meine Philosophie heute:Wer mich nicht will, wie ich bin, bekommt mich anders erst recht nicht.
Liebste Grüße
Ela
P.S. Eine nette Leserin (Danke Christine) brachte mich gerade drauf. An 28 von 29 Tagen eines Monats vergesse ich komplett, dass etwas anders an mir ist und lebe einfach mein Leben.
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